Bullerbü contra Berlin

Wie sieht das Vorzeigebild einer deutschen Familie aus? Genau wie in der Werbung: Mutter, Vater und zwei Kinder, die im Garten vor dem eigenen Haus fröhlich herumtoben. Dabei kann man sich heute als Durchschnittsfamilie ein Haus mit Garten oft nur noch auf dem Land leisten. In der Realität wachsen immer mehr Kinder in Städten auf. Eine von der Friedrich Ebert Stiftung in Auftrag gegebene Studie belegt, dass seit 2005 eine deutliche Verschiebung von westdeutschen ländlichen Gebieten hin zu den städtischen Ballungsräumen in West- und Ostdeutschland stattgefunden hat. Aber schadet das all den dort aufwachsenden Kindern? Wäre ihre Kindheit auf dem Land unbeschwerter?

Die Kinder- und Familienforschung verneint dies recht einhellig. Weniger das geografische, als das engste soziale Umfeld, also Familie und Freunde, sind für eine glückliche Kindheit relevant. Ganz besonders wichtig ist es, dass vor allem genug Gleichaltrige in der Nähe aufwachsen – und das kann in der Stadt sogar eher der Fall sein. Wahrscheinlich denkt jeder von uns bei „Kindheit auf dem Land“ an Streifzüge durch Wald und Wiesen oder an Baumhäuser im eigenen Garten. Aber wenn Sie heute durch die Dörfer fahren, bekommen Sie oft nur sehr wenige Kinder zu Gesicht. Die Freizeitaktivitäten haben sich auch dort verändert und zum Gitarrenunterricht oder zum Fußballtraining werden die Kids inzwischen von Mama oder Papa mit dem Auto in die nächste Kleinstadt gefahren, weil direkt vor Ort die Auswahl an Angeboten begrenzt ist.

Die Stadt bietet Kindern mehr Möglichkeiten an verschiedensten Aktivitäten: Fechtunterricht, Ballett, Saxophon-, Mal und Töpferkurs, Museum, Kindertheater – an Anregungen mangelt es wahrlich nicht. Und auf einem großen städtischen Abenteuerspielplatz kann es ebenso spannend und abwechslungsreich zugehen wie bei der Entdeckungstour durch den Wald hinter dem Haus. Wenn das Teenageralter erreicht ist, haben es Stadtkinder in einem Punkt deutlich leichter: Sie brauchen nur in den nächsten Bus oder die nächste U-Bahn zu steigen, um problemlos und sicher von hier nach da zu kommen.

Aber natürlich genießen Kinder, die auf dem Land aufwachsen, ebenfalls Vorteile: Die Verkehrsdichte ist wesentlich geringer, es gibt viel mehr Freiflächen zum Spielen und die Wohnsituation im gesamten Umfeld ist stabiler, weil die Menschen in ländlichen Regionen viel seltener umziehen und daher die Nachbarn wesentlich vertrauter sind. Man kennt sich und springt notfalls zur gegenseitigen kurzzeitigen Betreuung der Kinder ein. Zudem sind Landkinder oft in die stärker ausgeprägte soziale Gemeinschaft ihrer Gemeinde eingebunden, besuchen den örtlichen Sport- und Turnverein und sind Mitglieder bei der Musikkappelle oder der Freiwilligen Feuerwehr. Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft vermittelt Verlässlichkeit und Verbindlichkeit, Eigenschaften, die zu erlernen durchaus begrüßenswert ist.

Es gibt also kein eindeutiges Pro und Contra für das Aufwachsen auf dem Land oder in der Stadt. Vielleicht ist am aussagekräftigsten, was die Kids selbst sagen, wenn man sie fragt, ob sie lieber auf dem Land oder in der Stadt leben möchten: Die allermeisten wollen genau da wohnen, wo sie ohnehin aufwachsen.